Werner Fritzsche

Guten Tag Herr Fritzsche, vielen Dank, dass Sie sich dazu bereit erklärt haben, Ihr Erlebnis heute mit uns zu teilen. Wie geht es Ihnen?

Mir geht es sehr gut. Ich bin sehr dankbar allen denen gegenüber, die zu meiner Rettung beigetragen haben. Und unendlich glücklich, dass meine Familie mich noch hat und nicht um mich trauern muss.

Was für ein Tag war das damals?

Es ist am 21. Dezember 2009 passiert, ich war am Nachmittag zu Besuch bei einer befreundeten Lehrerin in Braunschweig. Allerdings kann ich mich an diesen Tag überhaupt nicht mehr erinnern. Alles, was ich weiß, ist mir von meiner Ersthelferin erzählt worden – meiner Lebensretterin, mit der ich heute noch sehr eng verbunden bin – und dem Rettungspersonal, den Ärzten und meiner Familie.

Gab es Vorzeichen für das, was Ihnen passiert ist?

Mir sind die Waldläufe, die ich im Herbst regelmäßig unternommen habe, etwas schwerer gefallen als sonst, was ich mir mit meiner Tagesform erklärt habe. So etwas kommt halt mal vor. Eine Woche vorher war ich noch bei meinem Hausarzt wegen plötzlicher Zunahme meines Gewichtes. Diagnose: Wasser in den Beinen. Schlechtes EKG. Er sagte, ich solle mich vorsichtshalber in einem Krankenhaus untersuchen lassen. Das wollte ich auch in ein paar Tagen machen.

Sie waren vor dem Vorfall eigentlich überdurchschnittlich fit?

Ja, ich habe Sport studiert. Insofern bleibt man natürlich immer etwas beim Sport. Ich habe natürlich nicht mehr so viel gemacht. Ergometer, etwas raus, ein bisschen Laufen, ein bisschen Krafttraining, aber eben nicht mehr sonderlich viel. Ich hatte sozusagen eine gewisse Grundkondition und mit der kam ich immer gut zurecht.

Was geschah dann bei Ihrer Bekannten?

Es ist irgendwie ganz plötzlich passiert. Ich war die Treppen zu Ihrer Wohnung mit einer schweren Tasche hinaufgestiegen und bin dann einige Sekunden später zusammengeklappt und mit dem Kopf auf meinen Laptop gefallen. Meine Lebensretterin hat dann alles richtig gemacht. Sie hat sofort 112 gewählt und mit den Wiederbelebungsmaßnahmen begonnen: Herzmassage und Beatmung durch die Nase. Zufällig war ein Notarzt in der Nähe, der auch sofort kam. Er habe „keinen Pfifferling“ mehr auf mich gegeben, wie er mir erzählte, als ich ihn später einmal besuchte, um mich zu bedanken.

„Erst zwischen dem 24. und 26. Dezember kam ich wieder etwas zu mir – Für meine Familie war es ein sehr trauriges Weihnachtsfest.“

Wie lautete die Diagnose?

Plötzlicher Herztod – auch wenn der Begriff bei mir nicht wirklich zutrifft, weil ich Gott sei Dank nicht tot bin. Das Herz hat einfach plötzlich aufgehört zu schlagen und keiner weiß genau, warum eigentlich. Man vermutet eine Herzentzündung, aber das ist nicht gesichert. Im Krankenhaus bin ich ins Kältekoma gelegt worden.

Was geschah dann weiter?

Erst zwischen dem 24. und 26. Dezember kam ich wieder etwas zu mir, sodass man mir erste Fragen stellen konnte. Das weiß ich aber auch nur von anderen. Ich bin dann wohl immer wieder nach kurzer Zeit eingeschlafen: Für meine Familie war es ein sehr trauriges Weihnachtsfest.

An was oder ab wann haben Sie wieder Erinnerungen?

Das langsame Aufwachen und wieder Einschlafen über die Weihnachtstage auf der Intensivstation, als ich langsam aus dem Kältekoma geholt wurde. Aber auch das sind nicht wirklich prägende Erinnerungen. Ich wollte wohl ein Buch lesen, das meine Frau mir mitgebracht hatte, war aber nach einigen Zeilen schon fix und fertig.

Welche Eindrücke haben Sie aus dieser Zeit? Wie haben Sie realisiert, was Ihnen widerfahren war?

Also ich muss sagen – das klingt vielleicht ein bisschen komisch –, aber als mir das bewusst geworden ist, habe ich mich richtig glücklich gefühlt. Die ganzen Tage im Krankenhaus – ich war sieben Tage auf der Intensivstation, dann weitere sieben Tage auf der normalen Station – und auch danach in der Reha: Ich habe selten ein solches Glücksgefühl in meinem Leben gehabt. Weil ich da wahrscheinlich ganz bewusst festgestellt habe, wie viel Glück ich gehabt habe und dass ich eigentlich wieder voll da bin. „Voll“ ist vielleicht zu viel gesagt: den Umständen entsprechend.

Hatten Sie Beschwerden oder Schmerzen?

Nein. Aber meine Frau sagte, als sie mich zum ersten Mal gesehen hat, habe sie mich wohl nicht wiedererkannt, so aufgedunsen von den vielen Medikamenten muss ich gewesen sein.

„Und dann ist da natürlich noch das Gefühl tiefer Dankbarkeit gegenüber meiner Ersthelferin und dem zweiten Leben, das ich geschenkt bekommen habe.“

Können Sie sich noch an diese ersten Reaktionen Ihrer Frau, Ihrer Familie oder von Freunden erinnern?

Ja – das heißt, ich kann es natürlich selbst nicht. Aber meine Frau und meine Töchter haben es mir erzählt. Jetzt wird es ein bisschen schwierig für mich. Mich überkommt es immer dabei, wenn ich an meine Familie denke. Ihnen wurde wohl schon erklärt, dass sie sich durchaus auch auf meine Beerdigung vorbereiten sollten. Die Folgewirkungen von „meinen drei Frauen“ sind wirklich so, dass sie es nicht vergessen können. Die Sorge um mich ist bei allen dreien noch riesengroß. Eine Geschichte will ich persönlich noch erzählen: Als ich die eine Woche auf der Station lag, haben mich 35 Personen besucht. Einmal haben nicht alle ins Zimmer gepasst und wir mussten nach draußen gehen und ich habe mich wirklich wohl gefühlt dabei und ich war glücklich, dass es mir so gut ging.

Gab es denn von ärztlicher Seite Vorschriften? Müssen Sie vorsichtig sein?

Man riet mir, übermäßige Anstrengungen sein zu lassen. Durch die Einnahme von Betablockern ging es auch nicht anders. Laufen ging nicht mehr, da ab einer bestimmten Pulsfrequenz nicht weiter gelaufen werden konnte. Radfahren, Schwimmen und andere Sportarten sind weiter möglich.

Wie lange dauerte Ihre Reha und wie verlief sie?

Die dauerte drei Wochen und mir ging es da schon wieder so gut unter all den schwerer erkrankten Mitpatienten, dass mir die Zeit doch etwas lang wurde. Ich war da und habe soweit alles mitgemacht und gebeten, dass ich auf dem Ergometer ein paar Watt mehr fahren kann. Wenn es einem so richtig gut geht und man dann noch glücklich ist darüber, wie gut es einem geht, überschätzt man sicherlich manchmal die eigene Situation. Geholfen hat mir sehr, dass meine Frau mich bei der Reha begleitet hat.

Die Ereignisse haben Ihr Umfeld und Ihre Familie stark geprägt. Was hat sich für Sie persönlich geändert?

Eigentlich nicht so viel, wie man denken könnte. Auf gewisse Weise bin ich natürlich körperlich eingeschränkt, weil ich nicht so sportlich aktiv sein kann, wie ich will. Aber sonst kann ich eigentlich alles machen. Ich versuche meine 10.000 Schritte am Tag zu erreichen – nur nicht während der Hitzewelle gerade. Aber ich denke, was ich bewegungsmäßig mache, ist durchaus über dem Durchschnitt. Und dann ist da natürlich noch das Gefühl tiefer Dankbarkeit gegenüber meiner Ersthelferin und dem zweiten Leben, das ich geschenkt bekommen habe.

„Der Defibrillator ist meine kleine Lebensversicherung“

Sie haben noch auf der Intensivstation einen Defibrillator eingesetzt bekommen. Wie gehen Sie damit um, beeinträchtigt Sie das in irgendeiner Hinsicht? Was bedeutet dieser Defibrillator für Sie?

Nein. Ich merke es halt, wenn ich dusche, aber eine Einschränkung ist es nicht. Das ist meine kleine Lebensversicherung. Wenn mein Herz wieder einmal aufhören sollte zu schlagen, dann reagiert das Gerät und gibt einen Stromstoß ab und schon läuft das Herz hoffentlich wieder. Es ist bisher aber noch nie angesprungen. Die Batterie hat daher fast doppelt so lange gehalten wie üblich. Ich habe dann noch einen zweiten bekommen, da diese Batterien fest eingebaut sind. Aber die Oberärztin meinte dabei schon zu mir, ich brauchte in Zukunft keinen weiteren mehr. Ich sehe das persönlich aber anders – nicht was mich betrifft, sondern meine Familie. Für die ist der Defibrillator eine Sicherheit, die nicht hoch genug einzuschätzen ist und insofern werde ich auch ein drittes Mal einen nehmen, sofern möglich.

Sprechen Sie mit Freunden oder Familie manchmal über das Ereignis?

Mit meiner Frau oder meiner Familie nicht. Sie belastet das zu stark. Unter Freunden mal, wenn man mich darauf anspricht. Aber von alleine eigentlich nicht. Das Thema versuche ich zu vermeiden. Aber natürlich weiß meine Familie heute, wie Wiederbelebung funktioniert. Und jedes Jahr am 21. Dezember feiere ich meinen zweiten Geburtstag. Wir gehen dann essen, aber zum Gesprächsthema wird es dabei eigentlich nicht.

Sie setzen sich heute für das Thema Wiederbelebung an Schulen ein. Wie kam es dazu und was machen Sie genau?

Ich hatte vor einigen Jahren mit einem Landtagsabgeordneten in Niedersachsen, der auch beim Roten Kreuz ist, versucht, einen verpflichtenden Erste-Hilfe-Unterricht für alle Schüler an den niedersächsischen Schulen zu erwirken, beziehungsweise zu unterstützen. Das lief in keinem Bundesland und es wäre unserer Ansicht nach sehr sinnvoll und wichtig, wenn in der Schule Erste Hilfe verpflichtend unterrichtet würde. Er hat mit zwei weiteren Landtagsabgeordneten eine kleine Anfrage gestellt und ich hatte den Petitionsausschuss mit quasi demselben Text angeschrieben. Und das Ergebnis war eine Ablehnung. „Das was wir tun,“ sagt das Kultusministerium, „das ist ausreichend.“

Während der Pandemie fiel mir das Ablehnungsschreiben wieder in die Hände und es hat mich geärgert und ich wollte irgendetwas tun. Im Lockdown fällt einem ja die Decke auf den Kopf und man muss etwas haben, woran man glaubt, ein Ziel. Also sagte ich mir „Versuch es doch noch mal!“ Aber anders. Wider Erwarten kommt es mittlerweile doch zu kleinen Fortschritten. Ich hoffe, dass im Sinne aller Beteiligten dieser mehrstündige Unterricht für Schüler angeboten und verpflichtend ist. Sind im Laufe der Zeit viele Ersthelfer ausgebildet worden, so kann auf diese Art und Weise unser gesamtes Gesundheitssystem deutlich verbessert werden.

„Es könnten ja auch andere da sein, die besser Bescheid wissen. Und dann schleicht man sich gerne ein bisschen weg. Und so denken die anderen auch.“

Was sollten alle Menschen zum Thema Wiederbelebung wissen?

Die grundlegenden Dinge eben. Überprüfen, ob das Herz noch schlägt. Dann 112 anrufen. Dann Wiederbelebungsmaßnahmen einleiten, bis der Notarzt vor Ort ist. Und immer andere, die eventuell in der Nähe sind, ansprechen, dass sie weitermachen oder Aufgaben übernehmen. Das wäre wirklich eine verdammt einfache Geschichte.

Können Sie aus Ihren Überlegungen einschätzen, was Menschen davon abhält, zu helfen?

Also ganz klar zunächst, dass sie es nicht wissen. Und man möchte nichts falsch machen. Es könnten ja auch andere da sein, die besser Bescheid wissen. Und dann schleicht man sich gerne ein bisschen weg. Und so denken die anderen auch.

Angenommen man hat gerade sein Erste-Hilfe-Wissen aufgefrischt. Wie überwindet man die Scheu oder die Angst zu helfen?

Es gehört eigentlich zur Ersten Hilfe dazu, dass man sagt: „Macht was!“ Das Schlimmste, was man machen kann, ist nichts zu machen. „Egal, was Ihr macht: Es ist besser, als gar nichts zu machen. Vielleicht noch ein Tipp: Ein Besuch beim Kardiologen kann unter Umständen lebensrettend sein!

Herr Fritzsche, wir danken Ihnen für Ihre Offenheit und das Gespräch!